ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

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"WAS TUN, WENN`S BRENNT" - Von der Barrikade zur Börse

"WAS TUN, WENN`S BRENNT" konfrontiert sechs ehemalige Hausbesetzer mit ihrer Vergangenheit.

Ende der Neunziger explodiert eine Bombe in einer Villa im vornehmen Berliner Grunewald, gerade in dem Moment, als eine Maklerin einem potentiellen Kunden das Gebäude präsentieren will. Der Sprengkörper hatte dreizehn Jahre lang "geschlafen", ein Relikt aus der Zeit der Hausbesetzer, die Mitte der Achtziger ihren "antiimperialistischen Kampf" gegen das "Schweinesystem" führten. Der Zeitzünder, ein Wecker, war einfach stehen geblieben, das Öffnen der Haustür setzte ihn wieder in Gang.

Die Detonation führt die sechs verantwortlichen Kreuzberger Häuserkämpfer wieder zusammen. Früher lebten sie ihre Träume von Autonomie und Kreativität unter einem besetzten Dach aus, jetzt müssen sie feststellen, dass sie sich völlig auseinander entwickelt haben. Tim (Till Schweiger) und Hotte (Martin Feifel), der bei einer Demo beide Beine verloren hat, leben als "letzte Irokesen" immer noch im besetzten Haus in der Machnowstraße. Maik (Sebastian Blomberg) hatte schon früher die genialsten Ideen. Heute setzt er seine Fantasie für seine Werbeagentur ein und spekuliert nebenher an der Börse. Nele (Nadja Uhl) war damals eine unermüdliche Politaktivistin, mehr als eine Dekade später hat sie als alleinerziehende Mutter alle Hände mit Winzlingen, Windeln und Wäschewaschen zu tun. Am krassesten ist die Entwicklung von Terror (Matthias Matschke). Der war damals radikaler Barrikadenkämpfer und furchtloser Autonomer, inzwischen vertritt er das einst bekämpfte System als Staatsanwalt. In den alten Zeiten waren Flo (Doris Schretzmayer) und Tim ein Paar, nun hat er große Schwierigkeiten, seine alte Geliebte wiederzuerkennen, aus Flo ist eine Mercedes fahrende Bürgerin im teuren Kaschmirkostüm geworden.

"Was tun, wenn´s brennt?" hat das Zeug zum cineastischen Höhepunkt des Jahres, ein echter Glücksfall. Das liegt in erster Linie am Drehbuch, das eine packende Handlung mit überraschenden Wendungen präsentiert. Es zeichnet sich durch eine hohe Glaubwürdigkeit bei gleichzeitigem Verständnis für die handelnden Personen aus. Die Produktion ist viel mehr als ein bloßer Berlin-Film, sie zieht zugleich Bilanz einer ganzen Generation, die voller Träume und Hoffnungen auszog, jedoch weit schneller als die 68er resignierte und von der bürgerlichen Gesellschaft aufgesogen wurde. Der Streifen ist ausgesprochen vielschichtig, er ist Tragödie und Komödie, Actionthriller und Gesellschaftsporträt zur gleichen Zeit.

Die fesselnde Geschichte macht Langeweile unmöglich, gleichzeitig passt sich die Leistung der Schauspieler dem hohen Niveau des Buches an. Till Schweiger mag zwar ganz groß auf dem Filmplakat stehen, tatsächlich reiht er sich nahtlos ins Ensemble ein. Als letzter Straßenkämpfer ist er der beste Freund des Rollstuhlfahrers Hotte, dessen Darsteller Martin Feifel die eigentliche Überraschung des Lichtspiels ist. Für seine Darstellung von Witz und Wut, trockener Lakonie und tiefer Trauer hat der "beste Nachwuchsschaupieler 1995" einen neuen Preis verdient.

Die desillusionierende Entwicklung der Figuren über die Jahre macht natürlich auch betroffen. Die Tatsache, dass sich Tim und Hotte überhaupt nicht weiter entwickelt haben, stimmt ebenso nachdenklich wie die radikale Abkehr von alten Idealen, die die übrigen Charaktere vollzogen haben. Doch sie müssen sich zusammen raufen, sie haben keine Wahl. Damals hatten sie nämlich eine Super-Acht-Filmgruppe, die das Basteln der Bombe festhielt. Dieses Anarcho-Filmchen fiel bei einer kürzlichen Razzia der Machnowstaße in die Hände der Polizei. Nun setzt der unterschiedliche Haufen alles dran, das belastende Beweismittel aufzuspüren und zu vernichten. Im Zuge der Aktion durchleben die ex-Besetzer Panik, Hass und Wut, stellen aber am Ende fest, dass es doch noch ein paar Gemeinsamkeiten gibt...

Henning Richter

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