ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

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TURBONEGRO - "Wir wollen unsere Idole nicht töten!"

Um das norwegische Skandalo-Sextett hat sich inzwischen eine eigene Sub-Kultur gebildet. Bei seinen Fans, der Turbojugend, kann jeder mitmachen, vorausgesetzt er hat Sinn für verschwitzten Rock´n´Roll und die feine Ironie dieser Rock-Satire.

Die zwei Seiten eines Rockstars: Auf der Bühne regiert Henk Von Helvete wie ein unumschränkter Herrscher. Der Königsmantel liegt auf seinen Schultern, er schreitet über die Bretter wie eine Majestät. Sein Deutsch wird immer ausgeklügelter und rüder: "Was ist los, ihr Votzen?", kommt ihm locker über die Lippen. Nachmittags, beim Interview, erscheint der Mann in ganz anderem Licht. Mit zitternden Händen setzt er eine Flasche Bier an, inhaliert den Rauch der Zigarette tief, schwitzt stark und beißt dazu auf einem Packen Kautabak herum. "Ich bin auf Methadon, mir geht´s ganz gut", meint der frühere Junkie, dessen Heroinsucht die Band an den Rand des Abgrunds geführt hatte.

Nach seinem Zusammenbruch wohnte Henk (bürgerlich Hans Erik Husby) vier Jahre bei seinen Großeltern auf den Lofoten Inseln in Nord-Norwegen. Dort arbeitete er als Museumsführer und Radio DJ, der maritime Schlager auflegte. "Seit unserem Comeback mit "Scandinavian Leather" lebe ich mit meiner Frau in Oslo. Die Zeit auf den Lofoten ist weit weg, sie hat nichts mehr mit dem neuen Album zu tun ", wehrt er Fragen zu dieser Phase ab.

Es drängt ihn, die alten Zeiten hinter sich zu lassen und auf den neuen Dreher "Party Animals" zu sprechen zu kommen. Während es sich Von Helvete in früheren Tagen nicht nehmen ließ, die Texte zu schreiben, haben inzwischen Basser Happy-Tom und Gitarrist Euroboy diesen Job übernommen. "Ich beschränke mich auf die Live-Show und das Singen der Texte. Aber natürlich muss ich sie für meine Stimme passend machen." Was den Gesang angeht, muss man dem Haudegen ein Kompliment machen, sein Organ klingt sauberer und kräftiger denn je. "Das ist das Ergebnis des ständigen Tourens. Es war eine Herausforderung zu hören, welche Musik die Jungs parat hatten. Für mich war es wichtig, die guten Songs mit guten Gesängen zu krönen."

"Party Animals" wurde zu einem Reigen großer Hymnen. "Rock´n´Roll verdient einen grandiosen Sound, das Low-Fi-Ding ist einfach zu langweilig und introvertiert", findet Henk. Dass dem Hörer das eine oder andere Element bekannt vorkommt, macht nichts, Turbonegro haben sich noch nie geschämt, ihre Idole zu zitieren. "Wir hatten immer eine respektvolle Beziehung zu unseren Helden, wir versuchen, das zu reproduzieren, was wir an ihnen mögen. Wir wollen unsere Idole nicht töten!" Zu den Helden der sechs Nordlichter zählen Alice Cooper, Joan Jett, Gary Glitter, Suicidal Tendencies, Ramones, Guns´N Roses, also "all die Acts mit denen wir aufwuchsen. Wir wollten sein wie diese Stars und das ist uns gelungen."

Der Spaß beginnt mit der Soundcollage "The Party Zone", in der ein Hubschrauber durch´s Klangbild fliegt und die metallische Stimme des Physik-Genies Stephen Hawking erklingt. "So sollte eine Vietnam-Kriegs-Stimmung wie in "Apocalypse Now" erschaffen werden. Der Hawking-Monolog soll den Leuten zeigen, dass wir inzwischen mit chirurgischer Präzision Parties feiern. Heute muss man mit wissenschaftlichen Methoden feiern, man wird schließlich nicht jünger." Die Stimme der Vernunft, die hier ertönt, scheint Hans Erik Husby näher als seinem alter ego Henk Von Helvete. "Henk ist eine Hilfe für mich, diesen Rockstar-Charakter in mir auszuleben", sagt er, wohlwissend, dass ihm dieser Charakter auch eine handfeste Heroinsucht eingebrockt hat. "Ich hab Glück, dass ich meine Agressionen, Triebe und geheime Fetische mit Hilfe der Band loswerden kann."

Henning Richter

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