ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport
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SYSTEM OF A DOWN - Revolutionäre
SYSTEM OF A DOWN zählen nicht nur zu den beliebtesten Bands der Metal-Szene, sondern auch zu den gefährlichsten - meint zumindest der amerikanische Geheimdienst CIA.
Schon verdammt ehrfurchteinflößend, was System Of A Down in den ersten fünf Jahren ihrer Existenz geschafft haben. Nicht wenige sehen in den vier Söhnen armenischer Einwanderer sogar die neuen Metallica. So weit ist es zwar noch nicht, aber mit 'Chop Suey' ist ihnen immerhin DIE Metalhymne der letzten Jahre gelungen, das zugehörige Album TOXICITY ist vielleicht sogar die bislang wichtigste Scheibe des neuen Jahrhunderts. Wer einen solchen Mut zu neuen Klängen und politischen Aussagen hat, der besitzt „Great Balls Of Fire“, um mit Rock´n´Roll-Pionier Jerry Lee Lewis zu sprechen.
Selbstbewusstsein ist denn auch die entscheidende Eigenschaft von System Of A Down. Dazu trägt sicher die beeindruckende Zahl von sechs Millionen verkaufter Alben bei, die sie mit der ersten und zweiten Scheibe erreicht haben. Erfolgreich sind indes einige, doch wer hat schon die Eier, mit einem Albumtitel zum Stehlen des betreffenden Drehers aufzufordern? STEAL THIS ALBUM! nannten die vier trotzigen Kalifornier ihren dritten Rotor. Basser Shavo Odadjian begründet die provokative Namenswahl folgendermaßen: „In den Sechzigern gab es „Steal This Book“, ein Buch von Studentenführer Abbie Hoffmann, das wir gut finden. Zum anderen sind wir bestohlen worden, einige dieser Songs tauchten im Internet auf“, berichtet er. „Wir nehmen es mit Humor, also beklaut uns, es ist mir egal.“
Bis auf zwei Titel stammten alle Songs aus der Session vom Megakracher TOXICITY. „Damals schrieben wir 33 Songs, viel zu viele also. Für das neue Album nahmen wir den Gesang neu auf und fügten einige Elemente hinzu. Die Songs passten nicht zu TOXICITY, das sein eigenes Leben hatte, doch sie sind zu gut, um sie weg zu werfen. Für mich ist es ein brandneues Album.“ Eher ungewöhnlich dürfte die Idee sein, die Scheibe ohne grafisches Design zu präsentieren, das Cover besteht aus weißem Papier, das mit Filzer beschriftet und vervielfältigt wurde. Für eine limitierte Auflage hat zudem jedes einzelne Mitglied im Do-It-Yourself-Verfahren einen eher kruden Entwurf abgeliefert, mit dem die Silberscheibe bedruckt wird. STEAL THIS ALBUM! sieht somit aus wie eine selbstgebrannte CD.
Auch eine traditionelle Promo-Kampagne mit zahllosen Interviews und Anzeigen-Aktionen hat es dieses Mal nicht gegeben, sehr zum Leidwesen ihrer Plattenfirma. Typisch System eben, sie konzentrieren sich auf das Wesentliche, und das ist die Musik. Die Texte hätten sie den Fans dennoch geben können, finde ich, schließlich zählen die Autoren Serj Tankian und Daron Malakian zu den wenigen im weitgehend unpolitischen Metal-Zirkus, die sich trauen, ihre Meinungen offen zu sagen, doch dazu später mehr.
Hauptkomponist des variantenreichen Vierers ist Gitarrist Daron Malakian, der im Team mit Entdecker Rick Rubin diesmal auch auf dem Produzentensessel thronte. Das typische Merkmal seiner Kompositionen ist der Wechsel von knüppelharten Ausbrüchen und sanften Melancho-Passagen. „Es geht um Dynamik, das ist mir am wichtigsten“, findet Shavo. „Bei Bands so verschieden wie Beatles oder Slayer, gab es immer große Abwechselung. Sie können nach oben, nach unten, rechts oder links gehen. Das Leben ist jeden Tag anders, du wachst nicht jeden Tag auf und bist wütend oder glücklich oder geil. Jeder Tag bringt seine Hochs und Tiefs, das spiegeln unsere Songs wider.“ Den immensen Erfolg ihrer Hit-Single 'Chop Suey' erklärt sich Shavo mit genau dieser Dynamik: „Der eindrucksvolle Refrain mit dem einprägsamen Text passt hervorragend zum harten Teil des Songs. Der Song wurde populär, weil in den letzten Jahren niemand so etwas gemacht hat.“
Einer der wichtigsten Einflüsse, besonders für Serj und Daron, ist Frank Zappa (1940-1993), bestätigt Odadjian. Der experimentierfreudige Gitarrist, der mehr als sechzig Alben aufnahm, hatte auch ein offenes Ohr für den Nachwuchs. Als Chef seiner Plattenfirma Straight gab er Alice Cooper 1969 seinen ersten Vertrag. Bei Zappa vermischten sich unbändige individuelle Kreativität mit satirischem Humor und politischem Engagement, das gleiche findet man bei System Of A Down. (Als Einstieg in die Welt von Frank Zappa empfehle ich HOT RATS und ZOOT ALLURES.) Als weitere musikalische Einflüsse nennt Odadjian Slayer, Metallica und Queen. „Das sind klassische Bands, ich meine, Queens Freddie Mercury ist geboren worden, um zu singen. Wir schätzen diese Bands, genau wie die Rolling Stones, sie sind unglaublich.“
Als Texter nennt Daron Malakian „radikale Bands wie MC5“ als Einfluss. Der politischste neue Titel dürfte 'Boom' sein, in dem Serj von „matador corporations“ und „death showers“ singt, bevor er zu dem frustrierenden Schluss kommt: „The bottom line is money / no one gives a fuck“. „Der Text ist von Serj, die Musik von Daron“, berichtet Shavo. „Es geht darum, dass die Welt viel Geld für Waffen ausgibt. Wenn du davon 25 Prozent für Nahrung investieren würdest, gäbe es keinen Hunger auf der Erde. Das würde zur Gesundung der Welt beitragen. Es gibt genug Geld, aber es wird schlecht verteilt.“ 'Chic´n´Stu' behandelt die Werbe-Industrie, die die Menschen mehr und mehr zu manipulieren sucht. „Der Song beginnt mit der Stimme eines Sportkommentators, der von den Spielen der Lakers (Basketball-Team in LA) berichtete. Wir sahen dieses Spiel der Lakers, das von einer Pizza-Werbung unterbrochen wurde, die uns hungrig machte. Werbung erzeugt Bedürfnisse, man sollte eine Therapie erfinden, die einen dagegen schützt“, meint Odadjian ernst. Der Titel 'Fuck The System' erkläre sich von selbst, sagt Serj Tankian: „Wir alle müssen das System bekämpfen.“
Ein weiteres Merkmal von System ist ihre Eigenständgkeit. Mitte der Neunziger, als Bands wie Korn, Incubus, hed(pe) und Static (die erst später ein X hinter ihren Namen setzten) auf der Bildfläche erschienen, hatten System andere Dinge zu tun, als dem neusten Trend hinterher zu rennen. In dieser Zeit standen Shavo und Daron auf den Straßen von LA, wo sie tausende von Flyern verteilten und jedem, der es hören wollte, ihr Demo in die Hand drückten. Derweil saß Serj am Computer und versuchte, die virtuelle Welt auf sie aufmerksam zu machen. „Uns ging es nicht um einen Plattenvertrag, uns ging es darum, Fans zu bekommen“, sagt Shavo rückblickend. Ihre musikalische Welt bestand aus klassischem Rock wie den oben genannten Bands, der letzte Schrei war ihnen egal. „Wir wussten nicht mal, wer Korn waren, bis ihr erstes Album erschien“, gesteht Odadjian, übrigens das einzige Mitglied, das in Armenien geboren wurde. „Wir waren von der Szene völlig unberührt. Wir kamen von einem völlig anderen mentalen Ort. Aber niemand konnte uns hassen, weil wir zu allen nett waren.“
Shavo Odadjian ist stolz darauf, dass er immer gearbeitet hat. „Ich habe als Blumenbote und in einer Kebab-Bude gejobbt. Ich hatte viele Jobs.“ Selbst als Kassierer einer Bank war er tätig. „Die Arbeit lehrte mich, wie man mit Leuten umgeht. Als Kassierer musst du mit allen Kunden gut auskommen. Außerdem erinnere ich mich daran, dass ich viel Geld angefasst habe.“ Selbst ein Überfall blieb ihm nicht erspart. „Diese Typen kamen in die Bank, und bevor wir wussten wie uns geschah, standen sie auf unserer Seite des Tresens und hielten mir ihre Knarren ins Gesicht. Ich war der einzige, der arbeitete, also richteten sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf mich. Sie befahlen mir, mich nieder zu legen, dann hauten sie mit der Kohle ab. Eine Zeit glaubte ich, ich würde sterben. Ich dachte: So soll das laufen? Das ist Scheiße!“
Liest man Artikel über die Band aus der Vergangenheit, taucht darin immer wieder die Vermutung auf, dass System Of A Down wegen ihrer politischen Äußerungen vom CIA überwacht werden. „Ich kenne einen Musiker aus einer anderen Band, die ebenfalls viel über Politik spricht. Ich sage aber nicht, wer es ist. Dieser Typ hat einen Freund, der für den CIA arbeitet. Dieser Freund hat uns gesagt, dass dort Akten über uns geführt werden. Ich kenne die Fakten nicht, aber das hat man uns mitgeteilt“, sagt Shavo zu seinem Kenntnisstand. In der Vergangenheit hatte diese Behörde auch die Doors und John Lennon im Visier. Letzterer bekam darauf erhebliche Schwierigkeiten, ein Visum zu erhalten. „Wenn du siehst, was wir gesagt haben, dann macht es doch Sinn, dass sie uns in ihren Akten führen. Sie wissen, wo wir gerade sind, sie kennen meine Eltern und meine Freunde. Ich bin sicher, sie wissen, dass ich gerade mit dir rede.“
www.systemofadown.com
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