ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

zurück

PLATTENBESPRECHUNGEN


ADHESIVE
We Got The Beat
4 (Holz & Plastik)
Stickman / Indigo

Klebrig, nichts anderes bedeutet "adhesive" und in ihren feuchten Träumen phantasieren die vier Stachelhaar-Schweden höchstwahrscheinlich, dass Millionen Fans an ihrem Sound kleben bleiben. Realistisch ist das allerdings nicht, der Doppelzweier spielt gefälligen Punkrock der familiären Sorte, Überraschungen bleiben dabei nahezu völlig aus. Das Gute an Punk ist, jeder kann ihn spielen, doch nicht jeder Combo gelingt es, einen erkennbar eigenen Sound zu entwickeln. Im Falle Adhesive fallen einem spontan Rancid, Descendents und Clash als musikalische Paten ein. Zu den positiven Dingen zählen immerhin die sprühende Energie und die kämpferischen Texte der Elche. Gleich drei Sänger hat die Truppe, alle drei haben das lautsprecherhafte Organ, das man für diese Musik nun mal braucht. Der Bass setzt erfreuliche Akzente, der Schlagzeug schiebt ohne Ende und die Klampfen sorgen für aufrührerische Riffs. Doch damit mehr Leute an WE GOT THE BEAT haften bleiben, müsste ihre Musik noch persönlicher, individueller und faszinierender sein.


CHERRY POPPIN´ DADDIES
Soul Caddy
6 (Holz & Plastik)
Motor

"Zoot Suit Riot" hieß der etwas schrullige Song, mit dem die Cherry Poppin´ Daddies 1998 einen Riesen-Hit landen konnten. Das Oktett profitierte dabei von der aufkeimenden Neo-Swing-Welle, obwohl die Mannen aus Eugene, Oregon vorher eigentlich als Ska Band galten. Jahrealang hatten sie zuvor mit Assen wie Mighty Mighty Bosstones, Reel Big Fish und Less Than Jake die Clubszene unsicher gemacht. Im Zentrum der Big Band steht Frontmann Steve Perry, ein kleingewachsenes Kerlchen mit einer Riesenportion Talent, für SOUL CADDY schrieb er die gesamte Musik sowie sämtliche Texte. Zugleich legt der Mann eine Show aufs Parkett, bei deren Rasanz einem der Atem stockt, so springt er locker mal aus dem Stand in einen vollgestreckten Spagat. Auaaa!
Der aktuelle Klangträger ist eine Abkehr vom gewohnten Sound, die Scheibe beginnt mit einer überraschenden Glamrock-Nummer (‘Diamond Light Boogie’) in bester T. Rex Tradition. Es folgt ein kesser Swingsong, ganz im Stil ihres erwähnten Hits, dann ertönen Big-Band-Rock mit B 52s-Einschlag, Karibik-Pop, eine Gitarren-Ballade, flotter Ska usw. Bei aller Verschiedenheit der kunterbunten Lieder verblüfft die Sicherheit, mit der die Musiker in sämtlichen Stilen Zuhause sind. Ein ungewöhnliches Album aus der ersten Liga, dessen geile Grooves und farbige Melodien zu jeder Sekunde überzeugen (freilich nichts für Puristen, gleich welcher Couleur).


CHUNG
Chung
4 (Holz & Plastik)
Supermodern / Indigo

Party Diktator, die Band mit dem genialen Namen und der anstrengenden Musik, sind nicht mehr. Ihrer Asche entstiegen Chung, zwei Mann der früheren Avantgarde-Rock-Kapelle bleiben der Musik treu, Nick Neumann (g) und Jens Ahlers (d). Unter der Eintragung "Chung" vermerkt das "Lexikon der lautimitierenden Wörter im Comic": "Schlag; Faustschlag gegen Metalmonster". Andere werden an Mark Chung, das frühere Mitglied der Einstürzenden Neubauten denken, an die Popband Wang Chung (Hit: ‘Dancehall Days’) oder einfach an den China-Mann an der Ecke. Was immer die Bremer dazu führte, sich einen derart exotischen Namen zuzulegen, bleibt im Dunkeln, im Licht der Öffentlichkeit dagegen steht dieses Album. Der Hanseaten-Vierer spielt schwungvolle Gitarrenmusik mit hohem Tempo, schrägen Grooves und nur geringfügigen Variationen, was ihren Songs ein beinah hypnotisches Gefühl verleiht. Zum Glück sind Chung nicht so aufreibend wie Party Diktator, doch Freude an neuen Klängen muss man schon mitbringen, um diese innovative Scheibe genießen zu können. Neu auch die Bezeichnungen der Band für ihren Sound, den sie "KungFu Rawk, Spongo Jazz und Nois´n´Roll 2000" nennen. Klingt eigentlich ganz vielversprechend, oder?


THE EXPLOSION
Steal This
4 (Holz & Plastik)
Revelation

Vier jugendliche Nichtsnutze lümmelten sich herum und überlegten, welche Möglichkeiten sie haben: a) kiffen und saufen b) ´ne Bank knacken c) eine Punkrockband gründen. Das Kleeblatt entschied sich für die letzte Möglichkeit und sparte dem Staat folglich die Ausgaben für Strafvollzug und Sozialarbeit. So geschehen in der schönen Stadt Boston, in der sich The Explosion dann eifrig ans Proben machten. Heraus kam eine durchaus hörenswerte Fünf-Track-EP mit erfreulich unterschiedlichem Material: ‘Dotted Lines’ ist purer Westcost Melodicore; ‘Blue’ hat einen guten Schuss Rock´n´Roll im Punk sowie ein Gitarrensolo; ‘Safety Belt’ zeigt, dass man auch mit simplen Mitteln einen eingängigen Song machen kann; ‘E.X.P.L.O.S.I.O.N ist hundert Prozent Ramones-durchtränkt: ‘Turnaround’ schließlich hat eine clevere Solo-Gitarre und eine gute Portion jugendlicher Wut im Bauch. Insgesamt zeigt dieser Drehspiegel, das man mit einfachen Mitteln große Wirkung erzielen kann (und die anderen Aktivitäten, kann man ja später noch machen).


THE FESTERMEN
Full Treatment
4 (Holz & Plastik)
Bad Afro /Indigo

Wie oft ist in diesen Seiten schon darüber gerätselt worden wie die Finnen ticken? Zahllose Interviewer dieses Blattes sind von der Wortkargheit finnischer Musiker in die nackte Verzweifelung getrieben worden. Noch zahlreicher sind die Kommentare über das eigenartige Trinkverhalten der Skandos, die meist nur kopfschüttelndes Unverständnis zum Inhalt haben. Eines muss man diesem von Dunkelheit und Kälte geplagten Völkchen immerhin lassen, es ist musikalisch. In der Hauptsache hat es einen ausgeprägten Faible für die Klänge Amerikas, eine Feststellung, die besonders für dieses Trio gilt, das einen sehr eigenwilligen Kurs zwischen Jon Spencer Blues Explosion, Bo Diddley, Captain Beefheart und Leningrad Cowboys fährt. Bärbeißige Gesänge, rollende Trommeln und schwungvolle, sich wiederholende Bluesrock-Riffs geben dem Ganzen eine avantgardistisch humoristische Note. Keine schlechte Platte, Licht in das Dunkel der finnischen Seele bringt sie indes leider auch nicht, wir dürfen uns also weiterhin den Kopf zerbrechen.


FIRESIDE
Elite
5 (Holz & Plastik)
Stickman / Indigo

Vor fünf Jahren ließ der Vierer aus dem Land der Volvos aufhorchen als sein Debütalbum DO NOT TAILGATE auf Rick Rubins American Recordings veröffentlicht wurde. Wie jedoch fast zu erwarten, fand der sperrige Sound der Avantgarde-Rocker wenig Absatz und heute sind Fireside wieder ein Indie-Team. Orientierungspunkte im klanglichen Koordinatensystem der Schweden sind Fugazi, Helmet, Quicksand, Joy Division und auch die Norweger Motorpsycho, mit denen sie bereits mehrfach auf Tour waren. Da Fireside aus einem kleinen Kaff in Nordschweden stammen, sind nicht selten Kleinstadtfrustrationen und die kollektive Seele Thema bei ihnen. Nun zur Musik des aktuellen Spiegeldeckels: Klangen ihre früheren Produktionen oft lärmig und eckig, widmet sich das Quartett hier eher sanften Melodien, die es mit allen möglichen (Gitarre, Schlagzeug, Bass, Gesang) und unmöglichen Instrumenten (Trompete, Billig-Rhythmus-Maschine, Akkordeon) aufnahm. Damit gelingt ihm eine interessante Platte, die beweist, dass neue Musik nicht zwangsläufig nervenaufreibend sein muss.


THE HEADS
Everybody Knows We Got Nowhere
5 (Holz & Plastik)
Cargo

Völlig zu Recht ist Stoner Rock in die Kritik geraten, denn neunzig Prozent der Steinchen-Bands geben sich damit zufrieden, das nachzukauen, was Black Sabbath und Hawkwind vorgekaut haben. "Punk war ein entscheidender Meilenstein, von Stoner Rock kann man das nicht behaupten. Ich will nicht Teil einer Szene sein, die ich als unwichtig erachte", sagt beispielsweise Josh Homme Queens Of The Stone Age, der zusammen mit Kyuss zu den Gründervätern der Szene gehörte. Die Heads aus dem englischen Bristol teilen diese Kritik ganz offensichtlich, ihre Einflussspektrum ist wesentlich breiter, wenngleich vielfach immer noch von den Siebzigern beeinflusst. Da taucht zum einen deftiger Garagen-Trash im Stil von Stooges, MC5 und Konsorten auf, zum anderen erklingen meditativ mechanische Melodien von Velvet Underground, Can, Neu, Sonic Youth und anderen. Dann wiederum befinden sich auf der 75minütigen Drehscheibe auch einige Nummern, die einem glatt das Gehirn zerschreddern. Für Kiffer, die mal einen etwas anderen Kick erleben wollen, könnte die zweite Scheibe der Psycho-Stoner genau das Richtige sein.


HELLSTOMPER
Hillbilly Motherfucker
3 (Holz & Plastik)
Cargo

Ein dickes fettes Borstenvieh prangt auf dem Cover dieser höchst obskuren Scheibe aus dem tiefsten Süden der Vereinigten Staaten. Ein treffendes Symbol für eine rundherum schweinische Platte, das beginnt schon mit dem versauten Titel und setzt sich fort mit dem Grunzen des "Sängers", der klingt als habe er Stacheldraht, wo andere Leute Stimmbänder besitzen. Die "Saubande" besteht paradoxerweise aus vier Ebern, die eine Schwäche für amerikanischen Garagen- (bzw. Schweinestall-) Rock hegen. Eine besondere Nähe zu Nashville Pussy und deren Vorläufer Nine Pound Hammer ist herauszuhören, sämtliche 14 Schrummelnummern sind höchst simpel gehalten, dabei wird die Lautstärke auf elf gedreht. Natürlich haben die Oinkies Lust an schmutzigen Späßen wie unsauberen Damen, Kneipenschlägereien und Alkoholexzessen. Insgesamt eher eine kuriose Amateur-Ferkelei, die man nicht mit tierischem Ernst betrachten sollte.


LESS THAN JAKE
Borders & Boundaries
5 (Holz & Plastik)
Fat Wreck Chords

Auf sage und schreibe 76 Tonträger-Veröffentlichungen haben es die Florida Boys seit ihrer Gründung 1993 gebracht. Kurioserweise sehen sie sich dennoch eher als Liveband: "Das Touren kam immer zuerst, erst dann folgte der Gedanke an eine Platte", verrat Trommler, Texter und Gründungsmitglied Vinnie. Der extreme Zeitdruck in der Vergangenheit machte die Arbeit im Studio nicht leichter. Diesmal lief alles anders, für ihre akuelle Drehscheibe BORDERS & BOUNDARIES nahmen sich die reiselustigen Skanker ganze acht Wochen Zeit. Heraus kommt eine fett klingende CD mit einer Menge Abwechselung im Programm: "Am Ende hatten wir weniger Ska drauf und mehr Bläser", findet Vinnie. Richtig, denn Punk, Wave und Rock dominieren das Klangbild, in das sich die Tröten freilich prima einpassen. Verblüffend auch die kratzig derbe Stimme von Frontmann Chris, die stark an Pub-Rocker wie Southside Johnny oder Graham Parker erinnert. Insgesamt sicher ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn der Sechser noch nicht das Niveau von Branchenführern wie Mighty Mighty Bosstones, The Urge oder Cherry Poppin´ Daddies besitzt.


LLAMA FARMERS
El Toppo
5 (Holz & Plastik)
Beggar´s Banquet / Connected

Mit Lamas asoziiert man gemeinhin Eigensinn und Spucke als Waffe. Wie sich eine Combo freiwillig "Lama Bauern" nennen kann, ist mir ein Rätsel. Egal, hier geht es nur um´s Spucken großer Töne und in dieser Disziplin sind die Londoner schon recht erfolgreich gewesen. Bereits in jungen Jahren, nach beendeter Schule, gelang dem Vierer ein Volltreffer, mit ihrer zweiten Single ‘Get The Keys And Go’ schafften sie den Einstieg in die britischen Top 50. EL TOPPO ist ihr zweites Album, es macht bewusst einen Bogen um Brit-Pop-Klischees und verarbeitet eher Einflüsse amerikanischer Klassiker wie Hüsker Dü, Lemonheads und Pixies. Die sanfte, verzückte Stimme von Frontmann Bernie Simpson stößt auf wellenhaft anschwellende Gitarren und zupackende Rhythmus-Instrumente. Etliche, der mit naivem Selbstbewusstsein vorgetragenen, Lieder können den Hörer bezirzen. Ja, ich würde mich nicht wundern, wenn sich unter diesen sparsam instrumentierten Hymnen noch ein weiterer Hit befinden würde.


LOONATIKK
Devilddance The Killerrokk
5 (Holz & Plastik)
MDD / Connected

Drittes volles Album des schüchternen Dreiers, der nach wie vor keine Interviews gibt und diese Maßnahme mit der kryptischen Frage begründet: Wer ist der König? Das Trio stammt aus dem Schwabenland und besteht aus den Gebrüdern Frank (v/bs) und Markus Öhrlich (g) sowie Trommler Winfried Keim. Loonatikk lieben die Vereinigten Staaten von Amerika, vor allem ihren Rock´n´Roll, aber auch ihren Lebensstil und ihre Mythen. Das zeigt sich zum Beispiel an den hastig gereimten Texten, die vor Yankee-Klischees, Macho-Sprüchen, Fernweh und Blues schier überlaufen. Musikalisch besitzen die Drei einen ausgeprägten Faible für den jungen Elvis, Danzig (der bekanntlich auch auf Presley steht), Bo Diddley und frühe ZZ Top. Die Combo mit Sinn für die Wurzeln ihres Genres groovt in jeder Sekunde wie die Hölle, dabei sind die 14 neuen Titel kurz und knackig, sie addieren sich auf kompakte 27 Minuten Spielzeit. Am Ende hinterlässt die Scheibe freilich den Eindruck, dass die urbanen Cowboys nicht im Land ihrer Träume leben...


MEAT PUPPETS
Golden Lies
5 (Holz & Plastik)
East West

"Wir sind alle Fleisch-Puppen. Wir sind alle Menschen und keiner hat Kontrolle über irgendwas", begründet Band-Chef Curt Kirkwood den Namen der Band. Gegründet in Phoenix, Arizona, sind die Meat Puppets bereits seit zwanzig Jahren im Geschäft. Bisheriger Karriere-Höhepunkt war ihr Zusammenspiel mit Nirvana auf deren MTV UNPLUGGED Session, in der ´Puppets-Fan Kurt Cobain gleich drei ihrer Titel intonierte. 1994 gelang es ihnen ferner für TOO HIGH TOO DIE, Gold in den USA einzusacken und zugleich mit ‘Backwater’ einen Hit in die Billboard Charts zu bringen. Von der Gründungsbesatzung ist nur noch Frontmann Kirkwood übrig, der hier sein erstes Album seit fünf Jahren vorlegt. Im Vergleich zu ihren hitzigen früheren Alben sind die alt.rock-Pioniere auf ihrem zwölftem Rundspiegel merklich sanfter geworden. Trotz der teilweise ungewohnten, spukigen Melodieführung sind viele der neuen Werke angenehm eingängig. Ein spannender Neuanfang einer eigenständigen Combo mit hohem Anspruch, dem sie jedoch jederzeit gerecht wird.


PROLLHEAD
Neue Alte
5 (Holz & Plastik)
Dröönland / EFA

So paradox der Titel auch sein mag, eine neue Alte "wirkt erfrischend, interessant, irgendwie aufregend", das kann jeder Macho locker nachvollziehen. Die Hamburger Proll-Rocker ziehen mal wieder alle Register deutscher Rock-Spießer-Kultur: "Ich seh gern wie du dir durch´s Haar streichst / das bereitet mir Entzücken / doch am Allerliebsten seh ich dich / auf´m Rücken" (aus: ‘Auf´m Rücken’). Da passt auch die Fellatio-Hymne ‘Gut Bläst’ (im Original von Turbonegro) bestens ins Weltbild. Immerhin ist Selbsterkenntnis der erste Weg zur Besserung: "Ich benutze noch Sprays mit FCKW / Und den FC Bayern find ich voll okay / Ich bin ein Arschloch" (aus ‘Ich bin ein Arschloch’). Doch das Leben als Macker hat seine Tücken, denn ‘Sie kann Karate’ und überhaupt ‘Ihr seid alle blöde Wichser’. Untermalt werden solche Manta-Fahrer-Weisheiten mit altmodischem Hard Rock der Marke Kiss, AC/DC, Stones sowie Andi Schmidts norddeutscher Quengelstimme. Die NEUE ALTE gehört zu jeder anständigen Cowboystiefel-Party wie diverse Paletten Billigbier und ´ne Klinikpackung Erdnuss-Flips.


SICK OF IT ALL
Your´s Truly
6 (Holz & Plastik)
Fat Wreck Chords

Was machen Sick Of It All besser als die meisten anderen Hardcore Bands? Eine ganze Reihe von Dingen, muss man sagen. Zum ersten hat die weitgereiste "Institution" Mut zur Variation, zwischen melodischem Punk, Westkurven-Oi, rasantem Rock und Hardcore alter Schule klingt jeder (!) ihrer Songs anders. Mit ‘Souvenir’ haben die New Yorker sogar einen ruhigen Titel im Angebot, ein ziemliches Novum für Hardcore Bands, die in der Regel vor Wut schäumen. Zum zweiten vermeiden Sick Of It All Stereotypen, nullachtfünfzehn Nu-Metal-Gebolze und stumpfes Phil-Anselmo-Gebrülle kommt ihnen nicht in die Tüte. Zum dritten haben sie eine Art menschliche Zeitbombe am Mikro, das Organ von Lederlunge Lou Koller hat einen hohen Wiedererkennungswert. Zum vierten müht sich sein Bruder Pete am Stromruder, selbst im härtesten Tornado seinen Riffs noch etwas wie erkennbare Harmonien einzuhauchen. Heraus kommen 15 richtig geile Songs. Es ist schon lange her, dass ich ein HC-Album angepriesen habe, dieses empfehle ich ohne Einschränkung.


SWINGIN´ UTTERS
Swingin´ Utters
6 (Holz & Plastik)
Fat Wreck Chords

"Auch Väter können Punks sein", beruhigt uns der Waschzettel des San Francisco-Fünfers, nachdem er vermerkte, dass zwei der Swingin´ Utters gerade Nachwuchs begrüßen konnten. Die "brüllenden Windeln" haben der Musikalität der Band offensichtlich nicht geschadet, die konstant tourende Combo setzt ihren bewährten Kurs fort. Da es keinen Sinn macht, die x-te Gruppe zu sein, die NO FX kopiert, setzt das Quintett weiter verstärkt auf Folk-, Country- und Rock´n´Roll-Einflüsse. So stehen neben fixen Pogonummern auch eine mandolinen-getriebene Rockabilly-Ballade (‘Watching The Wayfarers’), das Punk-trifft-Metal-Drama ‘Will Success Spoil Rock Hunter’, das verführerisch melodische ‘Second Skin’ sowie eine weitere Latte von äußerst vielfältigen Titeln auf dem Programm. Einflüsse wie Creedence Clearwater Revival, Social Distortion, Willie Nelson, Pogues sind klar auszumachen, werden jedoch nicht platt kopiert. Die Scheibe ist so gut, dass man so manchem Punkrocker nur empfehlen kann, es mal mit Vaterschaft zu versuchen.


BLOOD SUCKING FREAKS
Bloodsick
Demo (Sounds Of Subterrania; PO 103662; 34036 Kassel; fon/fax +49 (0) 561 / 8900267; Gregor.Samsa@gmx.de)

Australien ist eine Rock´n´Roll-Nation, sie hat Champions hervorgebracht wie Easybeats, AC/DC und Rose Tattoo, war in der ersten Liga gut besetzt (Angels, Divinyls, Baby Animals) und hat auch in der zweiten Liga bemerkenswerte Combos hervorgebracht wie die Hard Ons, Powder Monkeys und Bored!. Apropos Bored!, deren Frontmann Dave Thomas hat sich dieser Trash Punk´n´Roller aus Adelaide angenommen und ihnen die Zähne angefeilt, so dass sie den nötigen Biss bekommen. Der satte Sound, das hohe Tempo und die donnernden Rhythmen peitschen ihre 15 Songs voran. Kombiniert mit typisch australischen Schmirgel-Gesängen und rohen Klampfen haben die Blood Sucking Freaks schon eine gute Strecke auf dem Weg nach oben zurückgelegt. Angesichts solch guter Combos, braucht sich der australische Rock´n´Roll nicht um Nachwuchs zu sorgen.


Henning Richter

zurück