ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

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MUDVAYNE - Saiten, Felle, Taschenrechner
Mudvayne: Harte Klänge zwischen Mathe und Schwermut

Mathematik und Metal, wie passt das zusammen? Bei Mudvayne gehören Zahlen zum Arbeitsprinzip, erläutert Bassist Rü-D. „Das Leben besteht aus Zahlen und ich bin sicher, dass hoch qualifizierte Mathemathiker ihre Wissenschaft keinesfalls als Einengung sehen, genau wie wir. Im Gegenteil, es ist befreiend, wir genießen das Arbeiten mit Mustern und Formeln. Es erleichtert das Erklären einer Idee, du kannst dich nach den Nummern richten und Themen komponieren“, erklärt der Kahlkopf die Arbeitsweise des Quartetts aus Peoria, Illinois. Es folgt ein Wust von Formeln, angesichts dessen der Chronist, froh der Schule lange entronnen zu sein, schlicht abschnallt. Mit einer anderen Zahl kann er mehr anfangen, über 552.000 Kopien sind bislang vom Mudvayne-Debütalbum „L.D. 50“ allein in den USA verkauft worden. „Das ist ein echtes Kompliment. Es zeigt, dass sich die Leute mit dem gewissen Etwas von uns identifizieren“, freut sich Rü-D.
Inzwischen ist das Nachfolgealbum der Mathe-Metaller „The End of All Things To Come“ am Start, das dem Erstling ähnelt, jedoch mehr Gewicht auf Melodien legt. Sie setzen wieder auf ihre typisch präzisen harten Klänge, voran gepeitscht durch aggressive Urschreie. Unterbrochen wird diese Formel durch den reizvollen Kontrast sensibler, oft melancholischer Passagen. Die Single „Not Falling“ mit ihrem Schwanken zwischen zähnefletschendem Bellen und schwermütigem Erschauern ist ein gutes Beispiel für die Arbeitsweise der Ausnahmemusiker, denen Produzent David Bottrill (Tool, Peter Gabriel) einen ausladenden Breitwandsound verpasste. „Die neue Platte ist keine Lichtjahre von „L.D. 50“ entfernt“, setzt Rü-D hinzu. „Wir haben uns als Band nicht verändert, aber wir versuchen uns in jedem Fall weiter zu entwickeln.“
Entwickelt haben sich auch ihre Namen, Rü-D hieß früher Ryknow, Gitarrist Güüg nannte sich vormals Gurrg, Trommler Spüg hieß früher Spag und Frontmann Chüd hörte auf Kud. „Wir sind unheimlich fasziniert von Umlauten, die es Englischen nicht gibt“, erklärt Chüd ihre Faszination, „außerdem lieben wir Bands mit Umlaut im Namen wie Motörhead oder Blue Öyster Cult.“ Nü-Metaller, in der Tat. Ein weiteres Erkennungszeichen der Mannschaft aus dem Mittleren Westen der USA sind ihre furchteinflößenden Gesichtsbemalungen und schrägen Kostüme, die ihnen eine Ähnlichkeit mit verirrten Außerirdischen verleihen.
Gestern nacht waren alle Vier noch auf einem ausgedehnten Zug durch die Berliner Clubszene, heute sitzen sie quietschfidel im Interviewzimmer ihrer Plattenfirma. „Wir hatten eine klare Vorstellung von dem Klangerlebnis, das der Hörer haben soll“, berichtet Schlagzeuger Spüg von den Vorbereitungen für ihren zweiten Studio-Dreher. „Der Gesang sollte den Sound besser unterstützen und wir wollten die Melodien stärker betonen. Bei unserem Debüt war uns das noch nicht so wichtig.“ An dieser Stelle schaltet sich der extrovertierte Rü-D ein: „Melodien schaffen gute Laune, sie sind ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation. Unsere Texte mögen zwar oft negativ sein, doch unsere Musik ist getragen von Positivität“, charakterisiert er ihre raffinierten Hau-Drauf-Klänge.
Die Aggressivität von Mudvayne habe auch damit zu tun, dass die Band aus einer Gegend der „kulturellen Leere“ komme. Die einzige Ausnahme sei Musik gewesen. Ihre Heimatstadt liegt genau auf der Route von St. Louis nach Chicago. Jahrzehntelang waren Bluesmusiker diesen Weg gegangen und hatten in Peoria Station gemacht. Diese Tradition setzen die Rockbands von heute fort. „Ich sah Rush in unserer Stadt, Primus und Metallica“, sagt Rü-D, „sowie Suicidal Tendencies und Queensryche. Aber wir fuhren auch viel nach Chicago, wo ich zahllose Shows erlebte.“ Die Nü-Metaller bewältigten ihre jugendlichen Ängste und Aggressionen mit Musik, alle vier spielen ihre Instrumente mehr als fünfzehn Jahre. „Wir haben schon andere Bands zuvor gehabt, das war immer unser Plan. Wenn wir nicht in dieser Gruppe wären, hätten wir eine andere“, meint Spüg.
Eine Frage kann man den Make-Up-Metallern nicht ersparen: Hat der Erfolg der Maskenmänner Slipknot ihnen geholfen? „Ja, sicher“, antwortet Sänger Chüd ehrlich. „Ihr Manager hat uns einen Plattenvertrag verschafft. Aber das Gros unseres Materials für „L.D. 50“ war bereits fertig. Wir haben sie keinesfalls kopiert. Das Make-Up trugen wir schon bevor wir einen Ton von ihnen gehört hatten. Wir tourten mit Slipknot und sie akzeptierten uns, das hätten sie nie gemacht, wenn sie uns für Kopisten gehalten hätten.“

Henning Richter

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