ARBEITSPROBE: MONTEVIDEO - Zaubertrank stets dabei Für wintermüde Stadttouristen ist Montevideo ein ideales Reiseziel. Neben reichlich Sonne von November bis April, begleitet von einer angenehmen Brise, bietet die Hauptstadt Uruguays ein breites Angebot an Kultur, Sightseeing und kulinarischen Genüssen. Einen typischen Uruguayer erkennt man an seiner Leidenschaft für Mate-Tee. Auf Schritt und Tritt sieht der Besucher der Hauptstadt Montevideo Einheimische mit Kalebassen in der einen Hand sowie einer Thermoskanne mit heißem Wasser in der anderen. Im Park, am Strand, an der Bushaltestelle, bei Musik- oder Sportveranstaltungen immer ist der "Zaubertrank" der Urus dabei. Das koffeinhaltige Heißgetränk regt zum Plaudern an, oft sitzen die Menschen zusammen und lassen die Kalebasse (ebenfalls Mate genannt) kreisen. Der grünbraune Sud aus Trieben und Blättern der wissenschaftlich "llex paraguariensis" genannten Pflanze wird immer wieder frisch aufgefüllt. Ist die Thermoskanne leer, holt man sich in der nächsten Bar für zehn Peso neues Heißwasser. Getrunken wird aus einem metallischen Saugröhrchen (Bombillo), das zugleich als Sieb fungiert. Überhaupt sind die Montevideoaner ein lebenslustiges Völkchen, abends tanzen die Alten stilvoll einen gepflegten Tango auf der Plaza Fabini an der Avenida de 18 de Julio, der Haupteinkaufsstraße der Innenstadt. Samstags und sonntags treffen sich die Jüngeren zum Candombe, der besonders in den Vierteln Sur und Palermo gepflegt wird. Diese so lebensfreudige wie lautstarke Tradition stammt von den afrikanischen Sklaven. Circa sechs Prozent der uruguayischen Bevölkerung sind Nachfahren der schwarzen Zwangsarbeiter, inzwischen haben die Weißen den Brauch der Schwarzen übernommen. Zum Candombe braucht man mindestens drei verschieden große Trommeln, die Piano, Chico und Repique heißen. Meist treffen sich freilich wesentlich mehr Trommler, die dann mit Tänzern, Tänzerinnen und Fahnenschwenkern durch die Gassen ihres Barrios ziehen, angefeuert von zahllosen Schaulustigen. Das Abendessen wird in Montevideo nicht vor 21 Uhr eingenommen. Auffällig sind die zahlreichen italienischen Restaurants, kulinarisches Zeugnis dafür, dass sehr viele Einwanderer Uruguays aus Italien stammten. Bis heute sind die Verbindungen zu diesem europäischen Land sehr eng. Pizza und Pasta gibt es beinah in jeder Straße, dazu trinkt man Bier aus Literflaschen oder den ausgezeichneten Wein aus dem Nachbarland Argentinien. Daneben dominiert Fleisch den Speisezettel. Bis heute lebt das Land in der Hauptsache von der Rinderzucht, Grillen - Asado genannt - ist Volkssport und Ritual zugleich. Welches Fleischstück gekauft wird und wie man es am besten zubereitet, ist Thema in den Familien vor dem kommenden Wochenende. Der Grill wird nicht mit Holzkohle beheizt, sondern mit hartem Holz. Selbstredend ist das Asado, das oft mehr als drei Stunden dauert, fest in Männerhand. Die Kunst des Asadors besteht darin, dafür zu sorgen, Würste und Fleisch-Gänge zum richtigen Zeitpunkt fertig gebrutzelt zu haben. Wer in Montevideo auswärts Fleisch essen will, geht samstags in den Mercado del Puerto. In der überdachten Markthalle am Hafen reiht sich ein Parillada (Grillrestaurant) ans nächste. Über offenem Feuer werden Chorizos (Bratwürste), Morcillas (Blutwürste), Pulpas (Rindfleisch ohne Knochen) und Lomos (Filets) kross gebraten. Dazwischen schmort auch mal ein Fisch oder Hühnchen. Dazu gibt es Brot, etwas Salat und Rotwein. Fünfhundert Gramm Fleisch sind das Minimum, das ein Esser zu sich nimmt, entsprechend wohlbeleibt ist die Mittel- und Oberschicht, die sich dererlei Vergnügen leisten kann. Uruguay befindet sich auf der Südhalbkugel zwischen Argentinien im Süden und Brasilien im Norden. Das kleine Land hat 3.5 Millionen Einwohner, 1.3 Millionen leben im Großraum Montevideo. Die Stadt liegt am Rio de la Plata, "Silberfluss", wie ihn die spanischen Eroberer tauften. Er ist zugleich eine Meeresbucht und die gemeinsame Mündung der Flüsse Rio Uruguay und Rio Paraná. Hier herrscht subtropisches, voll-humides Klima, zwischen November und April dominieren angenehme Temperaturen zwischen 20-28 Grad. Der kälteste Monat ist der Juli mit einer Durchschnittstemperatur von 7 Grad. In der Hafenstadt Montevideo weht meist eine erfrischende Brise, dicke Abgas-Luft gibt es hier nicht. Wer weitere Abkühlung braucht, geht ans Wasser, die Stadt verfügt über zwanzig Kilometer Sandstrand. Gebadet werden darf jedoch nicht überall, an etlichen Stellen ist das Wasser zu verschmutzt. Sowohl die argentinische Metropole Buenos Aires (16 Millionen Einwohner) als auch Montevideo leiten ihre Abwässer fast ungeklärt in den Rio de la Plata. Für südamerikanische Verhältnisse ist die jüngste Hauptstadt Lateinamerikas (nach Brasilia) mit seinen 150.000 Bäumen und zahlreichen Parks eine grüne Metropole. Nördlich des Zentrums liegt der Parque Prado, die grüne Lunge der Stadt. Wer im Sommer nicht an den Strand fahren kann, sucht hier Schatten. Unter den zahlreichen Denkmälern im Park befindet sich auch La Diligencia, die Postkutsche, von José Belloni, die dem Betrachter lebensnah vorführt wie mühsam und beschwerlich das Reisen im 19. Jahrhundert gewesen sein muss. Ein Denkmal beherrscht auch den größten Platz Montevideos, die Plaza Independencia. Das Reiterstandbild stellt den Nationalhelden José Gervasio Artigas dar. Er war Führer des Volksheers, das 1814 die Spanier besiegte. Ein entscheidender Schritt zur Unabhängigkeit, die 1825 vollzogen wurde. Zuvor mussten die Uruguayer mit argentinischer Hilfe die Portugiesen vertreiben. Anschließend halfen die Engländer, die Argentinier aus dem Land zu werfen. Die Briten dachten global, sie wollten zwischen den beiden Giganten Brasilien und Argentinien einen kleinen Pufferstaat samt Hafen. 1830 gab sich Uruguay seine Verfassung, 16 Jahre später schaffte es die Sklaverei ab. (Zum Vergleich, die USA vollzogen diesen Schritt erst 1865.) An der Plaza Independencia steht auch das Teatro Solis, das größte und wichtigste Theater der Stadt. Sein Zuschauersaal ist ein verkleinerter Nachbau der Mailänder Scala. Als Uruguay noch zu den wohlhabenden Staaten zählte, traten hier Weltstars wie Eleonora Duse, Sarah Bernhardt, Enrico Caruso und Arturo Toscanini auf. Durch die engen Gassen der Altstadt Ciudad Vieja mit ihren kleinen Läden und Bars gelangt man zum Hafen. Von der Mole an der Escollera Sarandi hat man einen faszinierenden Blick auf die Stadt. Am Wochenende stehen die Angler reihenweise auf der Mole, blicken geduldig auf den Schwimmer an der Angelschnur, nehmen einen Schluck Mate-Tee aus der mitgebrachten Kalebasse und unterhalten sich mit dem Nachbarn über den Fang des Tages. Zurück im Centro fallen einem die zahlreichen Oldtimer im Straßenverkehr auf, Kuba ist nicht das einzige Land Lateinamerikas, wo uralte Benzinkutschen zum Alltag gehören. Insgesamt 300.000 Pkw, Lkw und Busse sorgen in den Hauptverkehrszeiten für massive Staus. Zum Glück gibt es auch Fußgängerzonen, wie etwa den Paseo de la Ciuadad Vieja. Er führt zur Iglesia Matriz, der Kathedrale, die zwischen 1790 - 1804 erbaut wurde. Einer der beiden Türme (1817 - 1824) war ein Geschenk der portugiesischen Besatzer. Wer Spaß an Museen hat, kommt in Montevideo auf seine Kosten, so gibt es im Palacio Heber an der Plaza de la Independencia ein Geld- und ein Gauchomuseum. In unmittelbarer Nähe stehen weitere vier historische Museen. Etwas weiter entfernt im Palacio Municipal befindet sich das Museum der präkolumbischen Kunst, in dem Werke (teilweise Kopien) dieser Epoche aus allen Ländern und Kulturräumen Lateinamerikas gesammelt werden. Während die Gassen der Ciudad Vieja eher verwinkelt verlaufen, verfügt die übrige Stadt über den typisch schachbrettartigen Grundriss amerikanischer Metropolen. So fällt es dem Besucher leicht, sich zu orientieren. Das Bus-Netz ist dicht, Taxis sind preiswert. Die Kommunikation mit der Heimat in Europa ist ebenfalls problemlos, in Montevideo wimmelt es nur so vor Internet Cafés. Da die meisten Menschen hier keinen privaten Computer besitzen, wickeln sie ihre Email aus den kostengünstigen Internet Cafés ab. Lange Jahre galt Uruguay als "Schweiz Lateinamerikas". Seit der sogenannten "Tango-Krise" Argentiniens Ende der Neunziger Jahre befindet sich auch der kleine Anrainer-Staat in einer wirtschaftlichen Schwächephase, schließlich gehen 15 Prozent seiner Exporte ins argentinische Nachbarland. Als Folge schrumpfte die Wirtschaft Anfang des Jahrtausends kräftig. Laut einer Statistik von 2001 leben 18,8 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. (Verglichen mit anderen Staaten der Region ist das freilich eine moderate Zahl.) Da der einheimische Peso an den amerikanischen Dollar gekoppelt ist, ergibt sich für den Euro momentan ein günstiger Wechselkurs. Ein Essen mit drei Gängen und sämtlichen Getränken in einem Mittelklasse-Restaurant kostet sechs Euro, ein Herrenhaarschnitt drei Euro, eine Busfahrt innerhalb der Stadt vierzig Cent. Zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen zählt der Bankensektor, Kritiker vermuten allerdings, das am Rio de la Plata auch eine Menge Geldwäsche-Geschäfte abgewickelt werden. Daneben erwirtschaftet der Tourismus vierzehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die entscheidende Säule ist freilich immer noch die Landwirtschaft. Fleisch, Schafwolle, Textilien und Leder zählen zu den Hauptausfuhrprodukten. Schließlich weiden etwa 8,9 Millionen Rinder, 26 Millionen Schafe und 500.000 Pferde auf den grünen Wiesen der uruguayischen Pampa. Armut ist im Straßenbild Montevideos nichts Ungewöhnliches, Horden bettelnder Straßenkinder wie etwa in Rio de Janeiro gibt es hier dennoch nicht. Auffällig sind die einachsigen Pferdewagen, die meist von mageren Mähren gezogen werden. Auf ihnen türmen sich Plastiksäcke, mit Wiederverwertbarem aus Mülleimern. Oft sind die Pferdewagen mit Kindern und Jugendlichen besetzt, welche die städtischen Abfallcontainer nach Brauchbarem durchstöbern. Auffällig auch, dass zahlreiche alte Menschen gegen einen kleinen Obolus Parkplätze am Straßenrand bewachen und dass größere Läden und Supermärkte von bewaffneten Sicherheitsleuten bewacht werden. Generell wird Montevideo dennoch als sichere Stadt eingestuft. Für Europäer, die der kalten Jahreszeit entfliehen wollen, ist Uruguay eine erfreuliche Alternative zu überlaufenen, allzu bekannten Reisezielen wie Kanarische Inseln, Tunesien und Marokko. Es bietet ein großes Angebot an Kultur und Freizeitmöglichkeiten, ein angenehmes Klima und ein günstiges Preisniveau. Die Uruguayer sind nicht nur freundlich und hilfsbereit, sondern auch sehr kommunikativ. Gut möglich, dass sie den Besucher im Zuge eines Gesprächs zu einem Schluck Mate-Tee aus ihrer Kalebasse einladen. |
Henning Richter |