ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

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tip Berlin 10/91:
JÜRGEN VON DER LIPPE - Lippling Deutschland

Kleiner, aber etwas feiner als die dröge Samstagabend-Unterhaltung kommt Jürgen von der Lippes Partner-Poker "Geld oder Liebe" daher. Auch am 27. Juni wird der Mann im bunten Hemd wieder beweisen, daß zur Zeit keine Wochenshow besser läuft als seine. Der TV TIP sprach mit von der Lippe über das Geheimnis und die Story seines Erfolgs.

"Natürlich ist das nicht mein richtiger Name", sagt Jürgen Dohrenkomp alias von der Lippe wie selbstverständlich. Sein Künstlername ist Programm und Auftrag zugleich: "Ich dachte mir, findige Journalisten werden damit allerlei Wortspiele machen, im übrigen stamme ich aus dem Lipper Land!" Der listige Wohl-Berliner hat sich in beinah 20 Berufsjahren vom Blödelbarden zu einem der populärsten TV-Unterhalter hochgearbeitet. Nach "So isses" und "Donnerlippchen" ist "Geld oder Liebe" bereits seine dritte Show, die hohe und höchste Einschaltquoten erzielt. Das von ihm erfundene Partner-Spiel für "Lonely Hearts" ist momentan die erfolgreichste Wochensendung unter den Showprogrammen.

Allein die überschäumende Art und Weise, wie das Live-Publikum die schnodderigen Sprüche des 43jährigen feiert, macht Geld oder Liebe" zu einem Erlebnis. "Das sind ganz normale Leute, die noch Karten anfragen. Die Atmosphäre macht den Unterschied. Wir haben Kleinkunst-Format. Die 200 Leute, die zu uns kommen, sehen und hören alles. In einer Halle, in der man kaum etwas mitkriegt, kann soviel Reaktion nicht kommen", sagt er, mit einem Seitenhieb auf die unerträglich öden Samstag-Shows, die sich prinzipiell durch riesige Hallen quälen. Doch zu einem wesentlichen Teil beruht die enthusiastische Reaktion an dem Droht, den der kugelbauchige Bartträger zu seinen Gästen hat. "Ich bin nun mal gelernter Bühnenmann und nicht Jurist wie Biolek. Der hat nie gelernt, mit Publikum zu arbeiten. Das ist mein Job, den ich mindestens 100 Tage im Jahr auf Tournee mache!"

Aus 100 Bewerbern wählt der Turnschuh-Showmaster seine Kandidat/inn/en persönlich aus. "Ich suche die Leute noch einem Video aus, was auch das einzig Realistische ist, denn der Zuschauer sieht die in auch auf dem Schirm. Wir können zwar die Frauen auswählen", plaudert er aus dem Nähkastchen, "Aber bei den Männern müssen wir gegenchecken. Wir holen Frauen rein und fragen: ,Bringt der irgend etwas in euch zum Schwingen?" Männer finden nur Männer gut, die ihnen nicht gefährlich werden können, die für Frauen Luschen sind!"

Lippe zog 1972 von Aachen noch Berlin, um sein Germanistik- und Philosophie-Studium fortzusetzen. Allerdings erwies sich diese Kombination an der Spree nicht als lehramtsfähig, wie der Studiosus kurz vor dem Examen feststellte. So mußte er sein Berufsziel Lehrer begraben und schrieb statt einer Abschlußarbeit Stories für das Männermagazin "Playboy", zum Spitzen-Tarif von fünf Mark pro Zeile. Parallel tingelte er durch die Berliner Folk-Szene. Seine Anfänge im GO-IN, dem legendären Charlottenburger Folklore-Laden, mit Songs von Dylan, Donovan und Cut Stevens, hat er noch genau vor Augen: für die Früh-Termine ob 21 Uhr bekam ich acht Mark und zwei Bier. Das steigerte sich dann auf zwölf und später sogar auf 20 DM. Halb soviel wie Parodien-Paule", der erhielt 40 Mark, war aber auch ein Super-Star."

Ulrich Roski brachte ihn dann auf den Gedanken, komische deutsche Lieder zu singen. "Anfangs konnte ich mit dem überhaupt nichts anfangen. Eines Nachts liefen Roskis Sachen auf einer Fete. Wir hatten schon ,einen im Schuh", und wer lachte um lautesten? Ich. Das war mein Schlüsselerlebnis Nummer eins: Die Rezeptionsbedingungen sind entscheidend. Das komisch gemeinte Erzeugnis ist das anfälligste überhaupt. Mich kann nur einer zum Lachen bringen, wenn ich auch die Absicht habe zu lachen!" Die Tatsache erkläre auch die humorlose Haltung der Kritiker, die sich von Berufs wegen und eben nicht aus Lust und Laune mit Komik befaßten.

"Früher hatte ich allerdings auch oft eine überkritische Haltung drauf. Bei Mike Krüger, zum Beispiel, der damals noch Mein Gott Walter" die Clubs bis zum Bersten füllte. Meine Kollegen und ich waren in eigentlich was Besseres", wir haben uns irgendwie als literarische Kabarettisten verstanden. Dabei übersahen wir, daß wir schlicht und einfach keinen Erfolg hatten., Das war mein Schlüsselerlebnis Nummer zwei!"
Aha-Erlebnis Nummer drei schließlich erklärt, warum es den damaligen Borden zum Fernsehen zog. "Damals spielte ich bei den Gebrüdern Blattschuß, mit "Kreuzberger Nöchte" hatten wir einen RiesenHit. Da ich allerdings schon Hörfunk für den WDR machte, war ich so beschäftigt, daß ich den Auftritt in der ZDF-Hifparade" nicht mitmachen konnte. Obwohl ich mir danach in unseren Konzerten den Arsch abspielte, wollten die Teenies in der Pause von allen Autogramme - nur von mir nicht, denn ich zählte ja nicht zu ihren Fernsehlieblingen. Das hat mir gestunken!"

Warum es ihn in das schweißtreibende Licht der Bühnenscheinwerfer zog, legt er auch psychologisch schlüssig dar. "Natürlich war ich immer der Party-Clown, deshalb war ich so beliebt und wurde oft eingeladen. Vom sozialen Hintergrund paßte ich nicht aufs Gymnasium, os waren alles Arzt-Söhnchen, mein Vater war Bar-Mixer. Ich bin in unsere Clique eufgenommen worden, weil ich lustig war. Meine Eltern hatten weniger Kohle, und ich war der kleinste und, so komisch das klingt, der dünnste. Das mußte ich kompensieren, und ich habe das dann kultiviert!"

Neben seinen flotten, oft zotigen Sprüchen ist das Hawaii-Hemd sein zweites Markenzeichen. Jakkos sind mir zu warm. ich schwitz" nun mal leicht, und wenn Unterhaltung angestrengt aussieht, sind 50 Prozent der Wirkung futsch. Die Hemden sind die einzige Möglichkeit der Kostümbildnerin, auf den Abspann zu kommen, und wenn es im Winter keine zu kaufen gibt, dann näht sie mir welche. Inzwischen muß ich mich entschuldigen, wenn ich keines anhabe."

Die Art seines Auftretens verrät ein genaues Studium seiner ungloamerikanischen Kollegen (was im übrigen jeder deutsche Komiker macht). Freimütig bekennt er, den trockenen Wortwitz eines Stephen Reich, die lockere Flapsigkeit eines Eddie Murphy oder chormenten Albernheiten eines Lenny Henry in sich aufgesogen zu haben. Allerdings kopiert er nicht: "Ich destilliere!"

Wie Hella von Sinnen, Karl Dall oder Hape Kerkeling gehört Jürgen von der Lippe zu einer neuen Generation deutscher TV-Humoristen, die auch vor absurdem Blödsinn und attockierender Dreistigkeit nicht zurückschrecken. Doch die zunehmende Konkurrenz zwingt ihn, sich von den Mitbewerbern um die Publikumsgunst abzuheben. "Sicherlich hat RTL einiges bewegt, sowohl in der Moderation als auch in der Comedy. Das Vulgäre, was man jahrelang mir allein angelastet hat, ist jetzt der Reißer überhaupt. Da ist nichts mehr zu holen, ich muß mir was anderes suchen."

Abgesehen von seinen Fernsehauftritten und Tourneen gehört der Show-Clown eher zu den stillen Stars. Nur zweimal geriet er in die Schlagzeilen. Bei seiner Heirat und Scheidung mit/von Margarete Schreinemokers, der tolkenden Quasselstrippe mit der Quengelstimme. "Was das Heiraten angeht, so habe ich zwei Erfahrungen hinter mir. Beide Male hat das unserer Beziehung nichts Gutes getan. Seit ich unverheiratet bin, lebe ich schon wieder vier Jahre mit meiner ersten Frau zusammen. Daraus ziehe ich die Lehre: zum Heiraten bin ich nicht gemacht, zum Familienvater schon gar nicht. Einem Kind kann man nicht sagen: Hau ab, Papi muß dichten." Mit Margarete habe ich im übrigen ein absolut streßfreies Verhältnis." Den Beweis will er im Herbst antreten - in aller Öffentlichkeit: "Ich werde als ihr Gast in die NDR Talkshow gehen."

Henning Richter

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