ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

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Ich + Ich - Seelsorger

Ich + Ich machen Popmusik für die Traurigen, Erschöpften und Verletzten.

Der Altersunterschied einer ganzen Generation liegt zwischen den beiden Mitgliedern von Ich + Ich. Während Annette Humpe seit knapp dreißig Jahren große Erfolge im Pop-Geschäft feiert, ist Adel Tawil beinah ein Neuling, der drei Jahre Mitglied der Boygroup The Boyz war und in Berlin ein Studio betreibt. Sie mögen „Vom selben Stern“ sein (so der Titel des neuen Albums), doch ihre Arbeitsteilung ist glasklar: Annette schreibt Musik und Texte, Adel arrangiert und singt. Live wird sich das Rampenlicht wohl auf ihn konzentrieren, sie leidet an wahnsinnigem Lampenfieber und Selbstzweifel. Vielleicht wird sogar eine andere Sängerin engagiert, um Annettes Parts zu singen. Wir werden sehen...

M&R: Warum beginnt euer zweites Album mit dem nostalgischen Kratzen einer Schallplatte und enthält fast nur handgespielte Instrumente?

Annette Humpe: Wenn ein Stück fertig war, haben wir gefragt, nach welchem Arrangement schreit diese Nummer? Manchmal haben wir es sofort gefunden, manchmal brauchten wir sieben Versionen und dachten: ,Das kriegen wir überhaupt nicht hin!‘

Adel Tawil: Vom Gefühl her hat beispielsweise ein handgespieltes Schlagzeug gut gepasst.

M&R: Aber warum haben die Lieder ein gemeinsames Klangbild?

Adel Tawil: Wir haben viel mit Sinus-Tönen gearbeitet. Wenn es bei einem Stück klappt, liegt es nah, das auch bei anderen zu probieren. Genauso war es mit den Blasinstrumenten, wir haben viel mit Live-Musikern gearbeitet, aber das Album ist nicht live eingespielt worden. Wir saßen schon an den Rechnern und haben gebastelt. Die Mischung macht´s.

M&R: Wer macht was bei Ich + Ich?

Adel Tawil: Annette kommt mit Texten und Melodiebögen. Dann fangen wir ganz klein an...

Annette Humpe: ...auf dem Klavier. Ganz altmodisch. Ich glaub, ein guter Song muss schon am Klavier klappen...

Adel Tawil: ...und dann gehen wir Schritt für Schritt. Was braucht das Lied, um das Gefühl optimal zu transportieren?

M&R: Annette, in welcher Stimmung warst du als du die Texte geschrieben hast?

Annette Humpe: Ich bin auf Empfang geschaltet, ich strecke meine Fühler aus. Ich versuche ohnehin immer, im Hier und Jetzt zu sein, wach zu sein für meine Gefühle und die Gefühle der anderen.

M&R: Es sind auch „Ratgeber-Texte“ dabei. In „Junk“ etwa forderst Du auf, nicht mehr zu konsumieren.

Annette Humpe: Es gibt Tage, da steh ich in der Boutique und merke, dass ich mir die dritte Bluse angucke, wo ich doch schon 17 Blusen hab... Wenn ich Klamotten kaufe, kann man sicher sein, dass es mir nicht gut geht. Ich fülle eine Leere, indem ich ´was kaufe. Das geht vielen so, denke ich. Auf die Idee zu dem Song bin ich durch Patti Smith gekommen. Ich war auf ihrem Konzert und sie rief ins Publikum: „Stop consuming!“ Danke, Patti! Ich bin nach Hause gegangen und dann kam´s. Ich mein nicht nur Klamotten, sondern auch etwa dieses permanente SMS-Schreiben... Das seh´ ich an meinem Sohn, was der und seine Freunde sich zusammen mailen... Irgendwie müssen diese Worte doch durch die Luft fliegen... Was für ein überflüssiger Scheiß! Ich könnte richtig sauer werden!

M&R: Wie? Du simst und mailst nicht?

Annette Humpe: Nur das Nötigste. Manchmal schreib ich nur: „Find ich auch.“ Punkt. Fertig.

M&R: Du drückst dich ja immer kurz und trocken aus.

Annette Humpe: Das kommt aus dem Ruhrgebiet. Kein Wort zu viel, kein Schmu, kein Rumgesülze. In Herdecke, wo ich herkomm´, reden die Leute so. Das ist absolut ironie-frei, die Leute meinen das eins zu eins genau so. Ironie versteh ich nicht. Wenn mir Leute ironisch kommen, frage ich: Was denn nu?

M&R: Hast du dich für den Text zu „Stark“ in die Lage eines Mannes versetzt?

Annette Humpe: Nur weil da steht: „Ich bin ungerecht zu Frauen“ muss ich mich doch nicht in einen Mann hinein versetzen. Da könnte auch stehen: „Ich bin ungerecht zu Männern.“ In Frauen steckt doch ein Macho. Ich kämpfe und konkurriere auch. Das gehört alles zu meinem Ich. Adel etwa ist sehr nett zu Frauen (kneift ihn in die Backe).

Adel Tawil: Um, wie Annette, als Produzentin so lange so erfolgreich zu sein, braucht es natürlich diese Stärke. Die Musikwelt wird von Männern dominiert. Nach außen auf der Bühne zeigt man sich wie ein Fels, aber innerlich kann man schon verzweifelt und zerrissen sein.

M&R: Annette, warum macht es dir keinen Spaß, auf die Bühne zu gehen?

Annette Humpe: Ich finde mich nicht gut genug als Sängerin. Ich finde, ich bin eine sehr gute Songschreiberin. Wenn ich singen könnte wie Norah Jones oder Pink, wäre es ´was anderes. Aber ich bin auch nicht extrovertiert, diese Fähigkeiten hab ich nicht, deswegen sollte ich es lassen.

Adel Tawil: Vorm Auftritt sollte man Lampenfieber haben, während dessen sollte man überglücklich sein und hinterher sollte man „Jaaa!!!“ sagen (ballt die Faust).

Annette Humpe: Ich will gar nicht mehr touren.

Adel Tawil: Ich werd´s alleine machen, den Großteil der Stücke sing ich ja sowieso.

M&R: Du hattest schon immer Probleme, Annette. Ich kann mich an einen Auftritt von Ideal in der Alten TU Mensa im Frühjahr 1980 erinnern...

Annette Humpe: ...das war der allererste Auftritt von Ideal. Hinterher wollten wir uns sofort trennen, weil der so furchtbar war. Der Mann am Mischpult war betrunken, die Leute vor der Bühne haben sich die Ohren zugehalten, weil der Sound so schlecht war.

M&R: Adel, du bist extrovertierter. Immerhin hast du drei Jahre mit der Boyband The Boyz gearbeitet.

Adel Tawil: Eigentlich wollte ich mit dem Produzenten Euro-Hip-Hop machen. Dann bin ich da so reingerutscht. Ich hab´aber kein Casting gemacht! Im Gegenteil, die mussten mich heftig überreden.

M&R: Auf „Schütze mich“ singt Annette solo. Das Lied hat die Form eines Gebets.

Annette Humpe: Ich bin Buddhist, ich meditiere und versuche, mein Ego klein zu halten. Im Buddhismus gibt es „instant Karma“. Wenn du Mist baust, kriegst du es vielleicht schon am nächsten Tag wieder zurück. Die Buddhisten haben keinen Gott, für sie gibt es eine Energie, die alles verbindet. Wenn ich sage: „Schütze mich“, dann wende ich mich an meine innere Stimme, an die göttliche Energie.

M&R: „Nichts bringt mich runter“ ist ein ungewöhnlich fröhlicher Song für Ich + Ich-Verhältnisse.

Adel Tawil: Absolut! Und es macht mir Riesenspaß, diese Nummer zu singen.

M&R: Auch „Mach dein Licht an“ hat etwas Positives.

Adel Tawil: Dazu gibt es eine schöne Geschichte. Unser Lichtmann von der letzten Tour hatte sehr großen Liebeskummer. Seine Frau hatte nach zwölf Jahren Ehe - am Telefon! - mit ihm Schluss gemacht. Bei dem Song „Wie konnte das passieren“ von unserem ersten Album ist er regelmäßig in Tränen ausgebrochen. Er konnte kaum das Licht bedienen, weil er jedesmal so bitter geweint hat. Annette ist jedes Mal nach dem Konzert direkt zu ihm hoch gegangen und hat sich um ihn gekümmert. So kam sie auf die Idee, das Lied „Mach dein Licht“ an zu schreiben, „leuchte durch die Straßen“.

M&R: Annette, du sagst, deine Musik sei für die Traurigen, Erschöpften, Verletzten.

Annette Humpe: Stimmt, ich möchte trösten. Eine Party-Platte könnte ich gar nicht machen.

M&R: „Wenn ich tot bin“ stammt ursprünglich von Annettes Album „Solo“ aus dem Jahr 1990. Kanntest du das, Adel?

Adel Tawil: Nicht komplett. Aber ich habe mir viele ihrer Arbeiten besorgt. Das Lied „Ich küsse ihren Mann“ (von „Solo“) etwa fand ich süß und ziemlich keck.

M&R: Warum ist die Platte kein Erfolg geworden?

Annette Humpe: Das Album passte nicht in den Mainstream und es hatte einen speziellen Humor. Viele Leute konnten darüber nicht lachen.

M&R: Warst du enttäuscht vom schlechten Verkauf von „Solo“?

Annette Humpe: Ich identifizier´ mich nicht mit Erfolg oder Misserfolg. Ich bin doch immer die gleiche Person. Ich versuche ´was - und entweder es klappt oder es klappt nicht. Aber das sagt nichts über mich. Ich freue mich, wenn der Erfolg kommt, aber wenn er nicht kommt, ist es auch gut. Ich werd´ schon nicht verhungern.

M&R: Natürlich muss ich dich, Annette, auch zu einigen Musikern befragen, die du produziert hast. Wie war das beispielsweise mit Rio Reiser? Der war schwul und hat doch sehr stark auf Frauen gewirkt.

Annette Humpe: Seine Stimme! Man kann nicht nur mit dem Konzept „Mann-Frau“ oder „Sex“ durch die Welt rennen. Es gibt ja noch etwas, was darüber steht. Diese ganzen Konzepte „alt-jung“ oder „hell-dunkel“ sind alles enge, kleine Schachteln. Mit denen will ich nichts zu tun haben! Ich guck mir die Menschen an.

M&R: War es einfach, mit Rio zu arbeiten?

Annette Humpe: Ja. Weil er ganz ehrlich und kooperativ war. Er hatte schon lange Musik gemacht, er wusste, was im Studio passiert, er hatte keine übertriebenen Vorstellungen. Manchmal war er auch eine Diva. Dann hab ich gesagt: „Hallo meine Diva, was kann ich für dich tun?“ Er war ein Freund von mir, den ich schon lange kannte.

M&R: Du hast seine erfolgreichste Platte gemacht, „Rio I.“

Annette Humpe: Der war vorher schon bekannt, durch Ton Steine Scherben.

M&R: Sehr bescheiden! Erst durch deine Arbeit hat er den Sprung in den Pop-Markt geschafft.

vAnnette Humpe: Das sind doch alles nur hohle Marketing-Begriffe. Viele haben ihm sogar sehr übel genommen, dass er die Scherben verlassen hat.

M&R: Wie bist du mit den Prinzen zusammen gekommen?

Annette Humpe: Eines Tages hat mein Verleger mir eine Kassette von einem Männerchor aus dem Osten gegeben. Ich dachte: Was soll ich denn mit einem Männerchor machen? Zu der Zeit lief grad „Tom´s Diner“ von Suzanne Vega im Radio, ein a cappella Song. Da dachte ich: Ah, ich lege einfach nur eine Rhythmusmaschine da drunter. So hatte ich ein Konzept und damit konnten wir anfangen. Das war kurz nach der Wende, die Prinzen waren sehr motiviert, ich brauchte sie nicht zu treten. Ich hab vier Alben mit ihnen gemacht, alle vier wurden vergoldet. (lacht) Da hat sich grad mein Ego gemeldet.

M&R: Viele Künstler beschreiben dich als sehr strenge Produzentin. Bist du dir selbst gegenüber auch so streng?

Adel Tawil: Strenger!

Annette Humpe: Das kann man doch sonst nicht machen. Ich geh mit mir selber härter um.

Adel Tawil: Den Titelsong „Vom selben Stern“ gibt es in dreizehn Versionen in allen möglichen Stilen.

M&R: Was hast du mit Udo Lindenberg gemacht?

Annette Humpe: „Ein Herz kann man nicht reparieren“ zum Beispiel, „(Sie wollen alle immer nur meinen) Körper“ und solche Sachen. Er ist ein Kumpel von mir, den kenn ich schon seit 1980. Damals wohnte ich noch in Kreuzberg in einer Wohngemeinschaft zu zwölft. Irgendwann saß ich in meinem Zimmer und jemand rief mich ans Telefon. „Wer ist denn dran?“ „Ja, Udo!“ „Du willst mich wohl verarschen.“ Aber er war´s tatsächlich...

M&R: Du hast auch mit dem wunderbaren Heiner Pudelko gearbeitet, der leider schon 1995 starb.

Annette Humpe: Der fehlt mir auch. Es ist eine große Ungerechtigkeit, dass einige so großen Erfolg haben und Rio und Heiner stehen hinten an. Da möchte man aufhören, Musik zu machen! Es gibt amerikanische Sänger, die mit diesem harten Style (in der Stimme) gut klingen. Ich hab versucht (mit Heiner), in diese Richtung zu gehen. Er hatte aber kein Interesse an Mode und Strömungen, er konnte nur so singen wie er sang. Das was grandios, aber sein Stil war zu der Zeit nicht gefragt. Pech gehabt!

M&R: Kürzlich verstarb auch Eff Jott Krüger, dein Gitarrist bei Ideal.

Annette Humpe: Ein warmherziger, lieber Mensch.

M&R: Wer hat eigentlich den Text zu „Hundsgemein“ vom ersten Ideal-Album geschrieben, das Eff Jott so hinreißend singt?

Annette Humpe: Bei Ideal haben die Männer nicht ein Wort getextet (schüttelt verständnislos den Kopf). Eff Jott war ein verschmitzter Typ mit viel Humor. Dazu hatte er ein großes Style-Bewusstsein, er hatte klare Vorstellungen wie ein Anzug sein musste, ein Gitarrensound, ein Toaster...

M&R: Hast Du noch Kontakt zu den anderen Ideal-Mitgliedern?

Annette Humpe: Die Idealisten treffen sich einmal im Jahr und besprechen wie man die Tantiemen verteilt.

M&R: Kommt immer noch Geld rein?

Annette Humpe: Ja, aber davon kann man nicht leben.

Henning Richter

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