ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

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Blind Date: Bad Religion - Tragik und Hoffnung

Im kommenden Jahr feiert die amerikanische Punk-Institution Bad Religion ihr 25jähriges Jubiläum. Ein unverwechselbares Merkmal der Marathon-Rocker ist die leidenschaftliche Stimme von Dr. Greg Graffin (39). Der Biologe, der soeben seine Dissertation zum Thema "Wissenschaft und Religion" abgeschlossen hat, ist Sohn eines Englisch-Professors, Vater zweier Kinder, einmal geschieden und besitzt Häuser in New York und Kalifornien. Seit seinem 15. Lebensjahr führt Graffin einen vielseitigen Kampf gegen die Übel der organisierten Religion (siehe Bandnamen), das Thema des Abends lag somit auf der Hand.

Die Toten Hosen: Ich will nicht ins Paradies

Keine Ahnung, ob das Lied neu oder alt ist, aber das sind Die Toten Hosen. Wir sind gute Freunde, aber nicht gut genug, um alle ihre Lieder zu kennen. Campino und ich haben "Raise Your Voice" (vom BR-Album "No Substance") zusammen gesungen und ich freue mich, dass auch sie den Song immer noch live bringen. Die Toten Hosen zählen zum nationalen Kulturschatz Deutschlands. Wir waren zusammen auf Tour und ich liebe ihre Musik! Sie besitzt die gleichen Charakteristiken der Bad-Religion-Formel, einfache Melodien für ein großes Publikum.

Johnny Cash: Personal Jesus

Die Legende von Johnny Cash lebt in unseren Köpfen fort. Als kleiner Knirps lernte ich Cash-Songs durch meinen Vater kennen. Kollaborationen sind gut, doch ich hätte es besser gefunden, er hätte sein letztes Album mit eigenen Songs bestückt. Ihn Alternative-Titel singen zu lassen, war doch nur ein Marketing-Trick. Der Song ist von Depeche Mode? Kenne ich nicht, in den Achtzigern hab ich abgeschaltet.

Bob Dylan: You Gotta Serve Somebody

Ich war nie großer Dylan-Fan, aber er ist fraglos einer der großen Autoren und einer der schlechtesten Sänger aller Zeiten. Ich dagegen glaube, ein guter Sänger zu sein, der eines Tages sagen können will: Ich singe und schreibe besser als Bob Dylan. Das ist natürlich ein ziemlich schwindelerregendes Ziel!

Was sagen Sie zum Text?

Im Lied heißt es: Du musst dich selbst aufgeben. "It might be the Devil / It might be the Lord", sagt er. Doch du dienst nicht dem Teufel oder Gott, sondern du dienst irgendjemandem hier auf Erden, etwas, das größer ist als du selbst, zum Beispiel der Musik.

George Harrison: My Sweet Lord

George Harrison liebe ich. Er war ein religiöser Mensch, den ich sehr respektiere. Ich habe nur keinen Respekt vor Leuten, deren Glauben kein Fundament hat. Er hatte eine Philosophie, auf die er sein Leben stellte. Das würde ich nie kritisieren! Allerdings glaube ich nicht an Wiedergeburt, sein materieller Körper und sein Geist sind gestorben, er wird nicht als Beatle zurück kehren. Er existiert nur im Gedächtnis von uns allen. Und das ist eine grandiose Sache, der einzige Weg zur Unsterblichkeit.

John Lennon: Imagine

John Lennon war großartig, aber ich stand George Harrison stets näher, ich bin ein großer Fan von Harrisons letztem, sehr bedeutungsvollem Album "Brainwashed". "Imagine" ist wahrscheinlich einer der besten Songs, die je geschrieben wurden. Er enthält einen Bestandteil, den jedes große Lied beinalten muss: Hoffnung. Zugleich enthält es menschliches Leid, etwas, das jeder nachvollziehen kann. Ich weiß nicht warum, aber wenn du menschliches Leid schilderst und etwas Hoffnung hinzu gibst, hast du einen machtvollen Song. Keine Ahnung, ob er Atheist war, aber ich mochte immer die Zeile: "Imagine there´s no countries / it isn´t hard to do / nothing to kill or die for / no religion too."

Lennon war Großmeister der inspirierten Schlichtheit.

Das ist ein guter Punkt. Wahrscheinlich habe ich mich deswegen nicht für ihn interessiert, seine Songs sind zu einfach. Deshalb ist er vielleicht ein besserer Songwriter als ich, aber ich lerne von ihm und schreibe einfacher als früher.

AC/DC: Hell Ain´t A Bad Place To Be

AC/DC mag ich sehr. Jeder wird in den Himmel kommen, denn die Hölle haben wir bereits auf Erden - das haben wir mit Bad Religion schon immer gesagt.

Social Distortion: When The Angels Sing

Mike Ness (Chef von Social Distortion) erzählt uns, das Leben ist zuende, wenn die Engel singen. Das ist kein besonders tiefes Lied, aber Mike ist ein guter Songwriter. Unsere erste Show 1980 haben wir mit ihnen gespielt und ich bin froh, dass beide Bands immer noch existieren.

R.E.M.: Losing My Religion

Der Titel ist ein Sprichwort im amerikanischen Süden. Ich glaube, es bedeutet, wenn dich etwas langweilt, verlierst du den Glauben daran. Ich sagte es bereits, in den Achtzigern hab´ ich abgeschaltet, die Musik dieser Zeit kenne ich kaum. Ich verstehe diese Band nicht, sie kam erst nach Punk. Allerdings habe ich großen Respekt für Leute, die sich engagieren, doch ich weiß nicht, was sie wollen oder woran sie glauben. Der Song hat Schmerz, aber keine Hoffnung.

Elvis Presley: Swing Low Sweet Chariot

Er war am besten, wenn er Gospel sang. Traditionelle religiöse Musik zählt zur besten Musik der Welt, die kann ich nicht kritisieren. Heute brauchen wir jedoch nicht mehr Gott um Hilfe anflehen, wir können moderne Medizin einsetzen, um Leben zu retten. Deswegen braucht man solche Lieder nicht mehr singen.

Everlast: Black Jesus

Kenne ich nicht. Aha, Everlast. Ich bin kein Hip Hop-Fan, das ist kein Stil, mit dem ich aufwuchs. Er ist kein Teil meines Lebens, ich weiß mehr über Punkrock. War Jesus schwarz? Man braucht nur eine seiner Haarschuppen finden, dann wissen wir´s. Anhand seines XY Chromosoms werden wir zudem heraus finden, dass sein Vater in Wahrheit ein Mensch war und keineswegs Gott.

Marilyn Manson: Antichrist Superstar

Ist das Manson? Ich hätte nicht gedacht, dass er so eine Scheißmusik macht. Andererseits mag ich ihn, weil er eine Menge provokativer Dinge sagt, zu denen er als Künstler steht. Er schockt dich und steht dazu. Antichrist Superstar ist kein brillianter Einfall, lediglich die Umkehrung von Jesus Christ Superstar.

Bad Religion: Fuck Armageddon This Is Hell

Mit sechzehn schrieb ich dieses Lied, weil ich dachte, dass die Geschichten der Bibel nicht viel erklären. Meine Frage war: Wenn das Leben schon so übel ist, wie kann die Hölle schlimmer sein? Damals hatten meine Eltern sich scheiden lassen. Mit meiner Mutter zog ich von Wisconsin nach LA, ein echter Kulturschock! Daher stammt mein Zynismus bezüglich der Gesellschaft. Die Fans wollen das Lied immer noch hören, es war ein Glücksfall, der Text ist noch relevant. Andere Songs sind mir peinlich, aber dieser zählt nicht dazu.

Johann Sebastian Bach: Wer nur den Herrgott walten lässt

Ist das von Bach? Ich kenne diesen Choral nicht, aber er ist sehr beeindruckend. Ich respektiere sein Werk, weil es von geschichtlichem und musikalischem Wert ist. Klassische Musik höre ich selten, dennoch besitze ich tonnenweise Klassik-CDs, die ich auflege, wenn ich lesen möchte oder in kreativer Stimmung bin. Schon vor uns kannte Bach die beiden entscheidenden Elemente für gute Musik: Tragik und Hoffnung.

Henning Richter

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