ARBEITSPROBE:
Henning Richter
Journalist / Autor für Musik, Kultur & Sport

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Beatsteaks: „Limbo Messiah“

„Ist ´ne Bombe (bzw. Granate, Rakete, Dynamit, oder irgendein anderer möglichst martialischer Ausdruck, der die musikalische Sprengkraft unserer fünf Freunde unterstreicht)!“ So lautet in etwa das höchste Lob, das die Beatsteaks zu vergeben haben. Damit wir uns nicht falsch verstehen, die fünf Berliner sind Pazifisten. Torsten Scholz definiert das Wort folgendermaßen: „Total geil, absolut krass, mega-fett, bzw. wundervoll, bezaubernd, nice oder auch tight, Alter.“ Das Ziel für „.Limbo Messiah“ - also das Album, um das es hier geht - war damit klar, „wir wollten mal wieder ´n paar Bomben, bzw s.o. an den Start bringen“, sagt Sänger Arnim Teutoburg-Weiß.

Bereits mit den vier Alben zuvor war es den Beatsteaks gelungen, einen unverwechselbaren Voll-auf-die-Zwölf/Glocke/Nuß/Eier-Sound zu kreieren. Ihr „Smack Smash“ (2004) bot den vorläufigen Höhepunkt, es wurde nicht nur mit Gold ausgezeichnet, sondern lieferte auch noch drei unwiderstehliche Single-Ohrstürmer.

„Limbo Messiah“ ist völlig anders und dabei doch typisch Beatsteaks. Knapp die Hälfte der Songs wird von dieser Katapult-Energie angetrieben, die man auch bei amerikanischen Hardcore-Kapellen der Achtziger findet. „Bands wie Black Flag, Minor Threat undsoweiter konnten zwar nicht spielen wie Pink Floyd, hatten aber diese unglaubliche Power. Während die Bad Brains diese abwechselungsreiche Musikalität besaßen“, schwärmt Torsten. Das ist aber noch lääängst nicht alles. Neben den besagten blitzartigen Energie-Schauern (z.B. „As I Please“, „Bad Brain“, „Sharp, Cool & Collected“ u.a.) besitzt „.Limbo Messiah“ noch viele andere Klangfarben: „She Was Great“ etwa hat einen funky Groove und Falsettgesang; „Soljanka“ ist ein kompakter Rocker gekrönt von stürmischen Keith-Moon-Drums; „E-G-O“ entpuppt sich als Abenteuer, das einem bei jedem Hören neue Kicks verschafft. Und in dem frenetischen „Demons Galore“ ertönen eine herzzerreißend melancholische Lead/Melodie bzw. Sologitarre und Back-Up-Vocals, die an Queen erinnern. „Freddie Mercury finde ich sehr inspirierend! Vielleicht nicht, was die Kleidung angeht, aber gesanglich, textlich und attitüden-mäßig. Er ist einer der Größten!“, preist Arnim die viel zu früh verstorbene Entertainment-Ikone.

Neben Queen zollen die Beatsteaks auch dem King Tribut. „George Harrison hatte Elvis in Las Vegas getroffen, als der King schon ziemlich am Ende war. Hinterher meinte Harrison: ,He was great when he was great‘“, erzählt Arnim. Der Satz schlug sofort ein und findet sich in „She Was Great“ wieder, allerdings mit verändertem Geschlecht. Ein kleiner Kunstgriff, typisch für die Beatsteaks. Ihre Texte sollen vor allem vieldeutig sein, wie Trommler Thomas Götz betont: „Jedes Mitglied sieht die Lyrics unterschiedlich. Jeder kann den Text interpretieren wie er will, das ist das Geile daran.“ Und Arnim setzt hinzu: „In manchen Texten geht´s um mehrere Geschichten gleichzeitig. Man kann sich die Lieder von allen möglichen Seiten aus angucken. Ich interpretiere sie ganz anders als Thomas. Das ist kein Problem für mich, Hauptsache es entsteht ein Bild.“

Vieldeutig auch der Albumtitel. Schlägt man im Englischlexikon das Wort „Limbo“ nach, finden sich dort die Übersetzungen „Vorhölle“ und „Tanz“. Abgeleitet wird der Begriff vom lateinischen Limbus, das auch für „Blütensaum“ (Biologie) und „Teilkreis“ (Technik) steht. Unter „Messiah“ finden wir „Erlöser“, „Befreier“ und „Gesalbter“. Den Fantasien und Interpretationsmöglichkeiten dürften damit Tür und Tor geöffnet sein, jeder hat die Chance, dem Albumtitel seine persönliche Bedeutung zu geben.

Die Aufnahmen zu „.Limbo Messiah“ entstanden zwischen Juni 2006 bis Februar 2007. Der Beginn der Proben fiel genau in die Zeit der Fußballweltmeisterschaftseuphorie. „Wir hatten einen Bomben- bzw Master- vielleicht aber auch überhaupt keinen Plan“, verrät Torsten, „wir wollten zwischen den Fußballspielen im Übungsraum komponieren. Am Ende haben wir gerade mal zwei Songs geschafft.“ Arnim zuckt die Schultern: „Fußball war nun mal wichtiger.“ Im Oktober fuhr die Combo mitsamt Produzent Moses Schneider für zwei Wochen nach Hamburg, um im Gaga Studio die Backings aufzunehmen. Im November ging es dann zurück an die Spree, wo im transporterraum die Gesänge verzwirbelt, rausgeknallt, weggeballert, abgeledert, oder auch nur auf Band gebannt wurden.

Elf Songs waren diesen schillernden Existenzen noch nicht genug, dazu drehten sie den 30-minütigen Film „Demons Galore“, der als Bonus-DVD der „.Limbo Messiah“ (Deluxe-Edition) beiliegt. Der Enthüllungsstreifen zerrt endlich die fiese Wahrheit über diese Möchtegern-Rockstars ans Licht. Hier wird das ungeschminkte Gesicht der Beatsteaks gezeigt: Frontmann Arnim mimt nach außen den Allet-dufte-Typen, beschwert sich aber hinterrücks bei seinem Promi-Buddy Jürgen Vogel, wie ätzend alle anderen sind. Torsten wird immer aggressiver und gewalttätiger. Thomas verstummt völlig, noch nicht einmal MTV´s Markus Kavka kann ihm ein Wörtchen entlocken. Die beiden Gitarristen Bernd Kurtzke und Peter Baumann liefern sich eine erbitterte Schlammschlacht, die auf der Couch der Psychologin endet. Es geht um die Frage, von wem die neuen Hits nun wirklich stammen. Kurz und krumm, gigantische Abgründe tun sich auf. Manch einer wird sich mit Grausen abwenden. Eines sei dem geschockten Betrachter aber noch gesagt, die Doku mag manches schöngefärbte Bild zerstören, aber bei anderen Bands (außer vielleicht bei den incredible Roy’s, von denen noch zu hören sein wird) sieht´s auch nicht viel besser aus.

Irgendwie typisch auch, dass das Komponieren, Proben und Livespielen den größenwahnsinnigen Hauptstädtern nicht genug ist. Frei nach dem Punk-Motto „Do It Yourself“ kümmert sich die etwas hohle, aber symphatische Band um beinahe alle Aspekte, die so ein komplexes Unternehmen mit sich bringt. Torsten schuftet im Mailorder Shop. Arnim hat den direkten Draht zum Management und designt geschmackvolle T-Shirts (oder was er für geschmackvoll hält). Bernd hält das Equipement in Schuss. Thomas sorgt dafür, dass die Website der Beatsteaks auf dem neusten Stand bleibt. Peter hat den Herkules-Job übernommen, sämtliche E-mails der Band zu beantworten. Jeden Montag um 18 Uhr treffen sich die Mitglieder mit ihren Managern Torsten und Eric zum Bandmeeting, „Paule“ genannt, um neue Pläne auszuhecken (und Bier zu trinken).

Für alle, die neu zur Beatsteaks-Posse stoßen, hier die Band-Historie im Zeitraffer: Die Wurzeln des Quintetts reichen zurück ins Jahr 1987, von der damaligen Besetzung ist allerdings nur noch Urmitglied Bernd Kurtzke (Gitarre) dabei. Als nächster stieg Peter Baumann (auch Gitarre) hinzu. Lange Jahre verbrachte die Combo im dunklen Keller, erst als 1994 Arnim Teutoburg-Weiß (Mikro) einstieg, erblickten die Beatsteaks das gleißende Bühnenlicht. Ihren ersten Gig spielten sie 1995 auf einer Abi-Feier in Berlin-Lichtenberg. 1998 fand die Band den obdachlosen Schwaben Thomas Götz für das Schlagzeug. Ein Jahr später hing Torsten Scholz seinen bürgerlichen Beruf (Elektrosignal-Mechaniker) an den berühmten Nagel und griff zum Bass der Beatsteaks. Ihr Debütalbum „48/49“ aus dem Jahr 1997 bezeichnet Arnim heute noch als „das beste Debütalbum aller Zeiten“. Nachfolger „Launched“ (1999) wurde als erstes deutsches Signing auf dem amerikanischen Punk Rock Label Epitaph veröffentlicht. Das dritte Album „Living Targets“ (2002) verbucht Arnim breit grinsend unter „The Great Rock´n´Roll Swindle“. Mit „Smack Smash“ (2004) hat die Band hingegen kaum Probleme. 2005 erschien die unfassbare DVD „B-Seite“ Innerhalb der Beatsteaks mag es die eine oder andere Meinungsverschiedenheit geben (siehe oben), einig sind sich alle Fünf in einem Punkt: „.Limbo Messiah“ wird total durch die Decke gehen!“ Und Arnim weiß auch warum: „Ich find, dass es bei aller Härte eine totale Pop-Platte geworden ist. Unsere Art von Pop eben - für die mit Langeweile und Klingeltönen geplagten Zuhörer zuhause an den Geräten.“ – Demons Galore!

Henning Richter

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